TTIP, TISA und Co.: Kommunale Daseinsvorsorge nicht durch Freihandelsabkommen gefährden! Gemeinsamer Antrag an den Stadtrat

Dr. Burkhard Pohl

Alte Hansestadt Lemgo

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen –
SPD-Ratsfraktion

Antrag an den Rat der Alten Hansestadt Lemgo

Kommunale Daseinsvorsorge nicht durch Freihandelsabkommen gefährden

Der Rat der Alten Hansestadt Lemgo sieht mit Sorge die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) und das Multilaterale Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen (TISA). Die Verhandlungen gefährden auch die kommunale Selbstbestimmung der Alten Hansestadt Lemgo:

-Die Verhandlungen wurden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Diese Intransparenz hat das Misstrauen in die Verhandlungsführung der EU-Kommission erhöht.

-Die geplanten Abkommen bedrohen nach derzeitigem Kenntnisstand die bisherige Form kommunaler Daseinsvorsorge und könnten negative Auswirkungen für das kommunale Handeln haben, etwa bei der öffentlichen Auftragsvergabe (inkl. der Delegation von Aufgaben an kommunale Unternehmen), bei der Förderung von Kultur und Erwachsenenbildung (z.B. über Volkshochschulen) wie auch bei den Arbeitsbedingungen für Beschäftigte der Alten Hansestadt Lemgo.

-Die geplanten Abkommen sollen Marktzugänge im Dienstleistungssektor öffnen, insbesondere auch im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen, und gefährden die Organisationshoheit der Kommunen. Darunter fallen nicht liberalisierte Bereiche wie die kommunale Wasserver- und -entsorgung, Abfall und ÖPNV, soziale Dienstleistungen einschließlich des Gesundheitsbereiches sowie die öffentlichen Dienstleistungen in Kultur und Bildung. Dies würde auch Lemgo mit seinen kommunalen Eigenbetrieben betreffen.

-Durch die Verwendung von sogenannten „Negativlisten“ wird die Rekommunalisierung von Dienstleistungen deutlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.

Die geplanten Abkommen hätten somit direkte Auswirkungen auf unsere Alte Hansestadt Lemgo. Mit unseren Stadtwerken etwa sichern wir verlässlich die kommunale Daseinsvorsorge und stehen anderen Kommunen als Partner zur Rekommunalisierung von Stromnetzen zur Seite. Das städtische Beschaffungswesen berücksichtigt soziale und ökologische Kriterien bei der Auftragsvergabe.

Der Rat der Alten Hansestadt Lemgo fordert deshalb den sofortigen Stopp der Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) und das Multilaterale Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen (TISA). Die Verhandlungen können nur fortgesetzt werden, wenn die völlige Transparenz und umfassende Beteiligung der Parlamente, der Zivilgesellschaft und der Verbände über diese Abkommen hergestellt wird. 

Für mögliche Neuverhandlungen fordert der Rat gegenüber der Landes- und Bundesregierung sowie EU-Parlament und -Kommission folgende Punkte ein:[1]

I           Öffentliche Dienstleistungen und die Kommunale Daseinsvorsorge sind aus den Abkommen auszuklammern. Das in der EU geltende Subsidiaritätsprinzip, wonach Kommunen, Länder und Mitgliedsstaaten ihre Daseinsvorsorge weitgehend selbst gestalten, muss strikt beachtet werden.

II.         Der politische Gestaltungswille soll in Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens nicht stärker eingeschränkt werden, als es nationale Regelungen und das europäische Vergaberecht bereits heute vorsehen. Für das öffentliche Beschaffungswesen dürfen keine Regelungen erfolgen, die zu weiterer Liberalisierung oder Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen führen. Spielräume für eine Auftragsvergabe nach sozialen, ökologischen oder regionalen Kriterien dürfen nicht verschlechtert werden.

III.        Auf spezielle Investorenschutzregelungen und internationale Schiedsgerichte ist gänzlich zu verzichten. Diese würden Investoren das Recht geben, direkt vor internationalen Schiedsgerichten – und damit vorbei an den nationalen oder europäischen Gerichten der Gaststaaten zu klagen und sichern damit einseitig die Privilegien für Investoren. Sie schützen ihre Profite und bewahren sie vor den Kosten von notwendigen sozialen und ökologischen Veränderungen in den Vertragsstaaten. Anwendung finden soll ausschließlich der demokratisch legitimierte Rechtsschutz nationaler Gerichte.

IV.        Der Abbau von Handelshemmnissen darf nicht zu Lasten von europäischen und nationalen Sozial-, Gesundheits-, Verbraucherschutz-, Kultur- und Umweltstandards erfolgen. Soziale und ökologische Ziele müssen gleichrangig mit den wirtschaftlichen Zielen verfolgt werden. Der Schutz von persönlichen Daten und der Schutz von Urheberrechten muss gewährleistet werden.

V.         Die Transparenz und Beteiligung soll verbessert werden, u.a. indem Vertreter der kommunalen Ebene in die Beratergruppen der EU-Kommission integriert werden.

VI.        Die Organisationsfreiheit der Kommunen auch über TTIP und andere Abkommen hinaus soll sichergestellt, Rekommunalisierung jederzeit und uneingeschränkt möglich bleiben.

VII.       Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, im Ministerrat der Europäischen Union im Bereich der Dienstleistungen aktiv für so genannte „Positivlisten“ einzutreten, die explizit nicht die kommunale Daseinsvorsorge sowie den Kultur-, Gesundheits- und Bildungsbereich tangieren. Die Anwendung von „Negativlisten“ im bereits verhandelten Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) darf nicht gebilligt werden. Hier muss nachverhandelt werden.

Erläuterungen:

Seit Juni 2013 verhandeln Vertreter der EU mit Vertretern der USA über ein transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Mit dem geplanten Abkommen wird das Ziel einer erleichterten Abwicklung des Handelsverkehrs zwischen der EU und den USA verfolgt. Ein weiteres Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA) wurde zwischen 2009 und 2014 bereits verhandelt und muss nun noch durch EU-Parlament und den Europäischen Rat sowie durch die EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Außerdem verhandelt wird zurzeit ein Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). Hierunter fallen zahlreiche Vereinbarungen zwischen 23 Parteien, inkl. den USA und der Europäischen Union, die das Ziel haben, Handelshemmnisse im Dienstleistungssektor zu beseitigen.

Die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA werden derzeit stark kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite versprechen sich die Befürworter der Abkommen durch den Abbau und die Harmonisierung verschiedener regulatorischer Bestimmungen positive Einkommens- und Beschäftigungseffekte auf beiden Seiten des Atlantiks. Sie befürworten einen ökonomischen Ordnungsrahmen, der alle Handelspartner künftig an gemeinsame Spielregeln binden kann, damit der marktwirtschaftliche Wettbewerb fair verläuft. Die Vertiefung der Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft soll demnach auch dazu beitragen, dass gegenüber Drittländern hohe Standards bei Produkten, Arbeitnehmerrechten und dem Umweltschutz durchgesetzt werden können.

Auf der anderen Seite bezweifeln die Kritiker der Freihandels- und Investitionsabkommen die Dimension der behaupteten positiven Effekte und gehen davon aus, dass diese in Wahrheit in nicht messbaren Bereichen liegen. Sie kritisieren vor allem die Geheimhaltung der Verhandlungen, das aus ihrer Sicht undemokratische Zustandekommen und das Risiko, das diese Abkommen für die Unabhängigkeit der Justiz und für europäische Sozial-, Gesundheits-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards haben könnten.

gez.

Dr. Burkhard Pohl                                                     Udo Golabeck

Fraktionsvorsitzender                                                Fraktionsvorsitzender

[1] Diese Punkte entsprechen im Wesentlichen dem gemeinsamen Positionspapier des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des Verbandes Kommunaler Unternehmen. 

Das hier ursprünglich verlinkte Dokument http://www.staedtetag.de/imperia/md/content/dst/internet/ fachinformationen/2013/pp_ttip_20141001.pdf ist nicht mehr auffindbar.

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