Entlang eines Liedtextes von Rio Reiser (König von Deutschland) leitete Fraktionssprecher Dr. Burkhard Pohl seine heutige Rede zum Haushalt 2024.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Ratskolleg:innen,
auch in diesem Jahr haben wir viele Sitzungen miteinander verbracht, zuletzt mit rekordverdächtigen 3,5 Stunden im SteA. Ich danke allen Mitarbeiter:innen der Verwaltung für die offenen Ohren, manchmal selbst am Wochenende. Ich danke Ihnen und Euch allen für den Einsatz für das Gemeinwohl und unseren Bündnispartnern SPD und BfL für viele gemeinsame Initiativen.
Liebe Anwesende,
Wann, wenn nicht jetzt?!
So benannte der große Rockpoet Rio Reiser einen seiner schönsten Songs.
„Wann, wenn nicht jetzt.
Wo, wenn nicht hier.
Wie, wenn ohne Liebe.
Wer, Wenn nicht wir.“
Diese Zeilen dienen mir heute als Motto.
Denn es ist weiter Krisenzeit.
Das 1,5-Grad-Ziel ist kaum mehr zu erreichen und erste Klima-Kipppunkte können bald erreicht sein.
Vor einem Jahr sprachen wir über die Ukraine und der Angriff geht weiter. Krieg als Mittel der Politik ist gegenwärtiger denn je. Autokratische Herrscherfiguren sind nicht nur in Russland auf dem Vormarsch. Und die Menschen flüchten – auch zu uns.
Im Nahen Osten ist seit dem 7. Oktober die Welt wieder eine andere. Und das „Nie wieder“ als Mahnung von Auschwitz ist keine routinierte Floskel, sondern bittere Aktualität, in Zeiten von offenem Antisemitismus in Deutschland. Nie wieder ist Jetzt. – Beifall –
In Zeiten multipler Krisen gilt es besonders vorausschauend zu handeln. Vor dieser Aufgabe stehen wir in Lemgo. Es geht um Verantwortung. Mehr denn je.
„Wann, wenn nicht jetzt?“
Nachhaltig finanziell, sozial und bildungsgerecht
Steuern
Wir Grünen stehen zu den Steuerhöhungen von 1,7 Mio EUR. Die Summe ist vorausschauend und mit Augenmaß gesetzt. NRW-weit und in Lippe liegen wir auf einem guten Rang, und sicher werden viele Kommunen ebenfalls erhöhen müssen. Lemgo hatte zuletzt einen Rekordüberschuss, aber darauf können wir uns nicht ausruhen.
Meine Damen und Herren, die Grüne Fraktion stimmt dem Haushalt zu.
Bestmögliche Bildung
Es stehen viele Investitionen an. Dabei denke ich zuerst an die Bildung. Mit 1,7 Mio. EUR ist auch mehr Geld für Schulen da. Als attraktiver Bildungsstandort braucht Lemgo mehr Schulraum. Kitas und Grundschulen sind das Fundament der Bildung. Gerade beweist PISA wieder, wie wichtig die ersten Lernjahre für die Bildungsentwicklung sind.
Wir Grünen möchten für alle Kinder bestmögliche pädagogische Bedingungen zum Lernen! Wir Grünen wollen jetzt die Ertüchtigung der Grundschulen für den Offenen Ganztag!
Das heißt: Kein Sparen auf Kosten der nächsten Generationen! Auch nicht auf Kosten der Gesundheit des Personals. Deshalb begrüßen wir die Empfehlungen der Gutachter für große Lösungen in Lieme und Kirchheide.
Aber die konkrete Entscheidung über die Art des Aus- oder Neubaus muss wohlüberlegt sein. Die bisherigen Beratungen zum OGS-Ausbau waren aus unserer Sicht zu knapp, schmallippig, einsparorientiert. Wir Grünen möchten dem Anspruch eines Bildungsstandortes gerecht werden und fordern intensive Beratung. Und zwar unter Beteiligung der Politik!
Zum guten Lernen gehören innovative Lernräume. Deshalb werden wir einen Architekturwettbewerb tatsächlich im Fachausschuss beantragen, wenn die Entscheidung für eine große Lösung in Kirchheide und Lieme fallen sollte. Das Geld dafür steht bereit, es gibt also keine Hindernisse. Wir sehen sogar Einsparpotenzial.
Gute Bildung heißt auch Bildungschancen für alle. Aktuell stößt die Inklusion in Lemgo an ihre Grenzen. In der Sekundarstufe gibt es zu wenige Plätze in den Schulen.
Da ist es fatal, dass Rat und Verwaltung das Gemeinsame Lernen am MWG ausgerechnet jetzt beenden! Wo sollen die betroffenen Kinder jetzt hingehen? Eltern und Kindern wird so das Recht auf Gemeinsames Lernen beschnitten.
75 Jahre alt ist die Charta der Menschenrechte. Auch Inklusion ist ein Menschenrecht.
Wir Grünen wollen mehr Inklusion an Lemgos Schulen, ausdrücklich auch an den Schulen des Kreises. Dafür werden wir uns als Grüne in Lemgo und in Lippe 2024 weiter einsetzen.
An dieser Stelle freue ich mich, dass 2023 Herr Wahlers als Beauftragter für Menschen mit Behinderung und Senior:innen seine Arbeit aufgenommen hat. Anlass war nicht zuletzt ein grüner Haushaltsantrag. Alles Gute für Ihre Arbeit, vielen Dank für Ihr Engagement, Herr Wahlers!
„Wo, wenn nicht hier?“
Klimaschutz – Klimafolgen
Liebe Kolleg:innen, wenn ich so die Anträge und Abstimmungen der letzten Wochen sehe, dann frage ich mich, wo einzelne Fraktionen die letzten Jahre waren.
Es ist doch nicht die Frage, ob man Klimaschutz betreibt.
Sondern: Wie man es finanziert, wie man es organisiert, welche Ressourcen wir dafür brauchen.
Wie wir damit umgehen, dass das Klima z.B. im Amazonas am Kipppunkt steht.
Wie wir damit umgehen, dass das OVG Brandenburg dem Bund und damit der gesamten deutschen Klimapolitik bescheinigt, zu wenig zu tun.
Auch hier geht es um Verantwortung. Wir Grünen stehen zum doppelten Lemgoer Stadtziel: Einerseits Klimaschutz, andererseits Anpassung und Vorsorge vor den Klimafolgen.
Deshalb wollen wir Grünen mehr Ressourcen und Personal für die zentrale Zukunftsaufgabe Klimafolgenanpassung. Diese steht auf dem Papier. Sie muss aber auch gelebt werden. Die Folgen der Erderhitzung sind bereits spürbar.
Auch wenn die anderen Fraktionen dieses Jahr noch nicht mitgehen wollten: Wir Grünen werden auf das Thema zurückkommen. Die Verwaltung hoffentlich auch!
Zum Klimaschutz: Zu warten können wir uns nicht leisten!
Einige Maßnahmen laufen jetzt an, auch dank Rückenwind aus Berlin und Düsseldorf, bei allem Streit innerhalb der Koalitionen.
⇒ Die Wärmeplanung hat begonnen, der Fernwärmeausbau geht voran. Jetzt muss die Fernwärme auch erneuerbar werden.
⇒ Die Energiewende bei der Erzeugung geht weiter mit 18 % mehr PV im letzten Jahr, und vermutlich noch mehr Steigerung im Jahr 2023.
Erste Anträge für Freiflächen-PV liegen vor. Wir freuen uns, dass der Rat unserem Antrag gefolgt ist, keine weiteren Auflagen bei der Freiflächen-PV einzuziehen.
Mit mehreren Anträgen haben wir Grünen und andere für mehr Umwelt- und Klimaschutz gesorgt:
- Friedhofskonzept mit mehr Angeboten und mehr Ökologie
- CO2-Controlling geht weiter
- Wassersparkampagne
- Lemgo Marketing-Vertrag mit Regionalität
- Resolution für Tempo 30 in Innenstädten
- Bürgerbeteiligung an Stadtwerke-Projekten.
Aber es ist noch ein weiter Weg zur Klimaneutralität.
Und da ist gerade der Verkehr gefragt.
Herr Bürgermeister, Sie haben im letzten HFA den Eindruck vermittelt, das Klimaschutzkonzept Verkehr sei nur eine lose Ideensammlung. Das finde ich befremdlich. Gerade wurde gerichtlich bestätigt, dass Deutschland zu wenig für den Klimaschutz tut – gerade beim Verkehr! Eine Ideensammlung reicht nicht, wir benötigen verbindliche Maßnahmen.
Wir Grünen erwarten Taten. Wir erwarten eine klare Haltung. Und damit ein Programm für Klimaschutz auch im Verkehr.
Stichwort Bodenschutz: Leider wehrt sich die Stadt gegen einen kleinen Grünzug am Industriegebiet. Reicht es nicht, dass allein 94 Hektar Ackerboden als Suchraum für Industrie und Gewerbe ausgewiesen werden? Sie nehmen so bandartige Industrieentwicklung in Kauf. Sogar gegen den Willen des Kreises und der Bezirksregierung.
Stichwort PV: Auch Ihre Haltung bei der PV-Satzung war auch für Sie kein Ruhmesblatt. In der entscheidenden Sitzung stimmten Sie gegen die Vorlage der Verwaltung, eng an der Seite Ihrer CDU. Gegen die Vorlage für eine Steigerung der PV-Ausbeute, die im Fachausschuss mühsam ausgehandelt worden war. Und zwar im Sinne der Anwohner:innen der City, die bei der Wärmewende auf jede Fläche ihrer oft kleinen Hausdächer angewiesen sind. Mir scheint: Das war es dann wohl mit dem parteilosen Bürgermeister.
Sie und die CDU begründen das mit Denkmalschutz und Stadtbild. Aber wieso lässt dann die Verwaltung einen solchen Verstoß gegen Stadtbild und Gestaltungssatzung zu wie an der zentralen Mittelstraße? Und wieso fällt man – übrigens der gesamte Rat mit Ausnahme der Grünen – dem Denkmalschutzpfleger beim Bauvorhaben Schuhstraße in den Rücken? Gelten für einzelne Investoren andere Regeln?
Eine solche Rede vom Denkmalschutz wirkt nicht länger glaubhaft.
Und, werte Kollegen von der CDU,
dass sie wie jedes Jahr unsere grünen Anträge ablehnen, diese Blockadehaltung kennen wir ja schon.
Aber es ist schon erstaunlich, wie sie immer wieder gegen die Verwaltung stimmen. Sie enthalten sich beim Familienzentrum Dewitzstraße, beim Mobilitätskonzept. Bei der Lageschen Straße stimmen Sie mit Nein, ebenso beim Verkehrsversuch Steinweg, und selbst bei der neuen PV-Satzung Innenstadt.
Kommen Sie doch aus dieser Blockadeecke heraus; seien Sie fortschrittlich!
Aber schauen wir voraus beim klimafreundlichen Verkehr.
Ich freue mich, dass die Anwohner in Voßheide vom Land und von Verkehrsminister Krischer nun mehr Lärmschutz an der Passadetalbrücke bekommen. Ich erinnere mich, Herr Baier, wie Sie und andere sich letztes Jahr über unseren Ratsantrag für mehr Lärmschutz amüsiert hatten. Sie alle wurden eines Besseren belehrt. Glückwunsch dabei an die Dorfgemeinschaft Voßheide für ihre erfolgreiche Graswurzelarbeit!
Das Mobilitätskonzept ist auf dem Weg mit 310 Einzelmaßnahmen. Wir Grünen freuen uns, dass Lemgo hier alle Verkehrsbeteiligten in den Blick nimmt, nun auch den Fußverkehr. Mein Dank an dieser Stelle an die Verantwortlichen in der Verwaltung, Glückwunsch an den Fahrradbeauftragten.
Im Mobilitätskonzept steht neben dem Stadtbus auch ein klares Ja zur Reaktivierung der Begatalbahn. Die positive Machbarkeitsstudie zur Begatalbahn eröffnet jetzt einen Weg zur Umsetzung. Der wird nicht leicht, aber wir sollten ihn gehen.
Und wer hat gegen das Mobilitätskonzept gestimmt? AfD und FDP.
Die FDP hat offenbar oft die Orientierung verloren.
Und damit meine ich nicht die Verbalraufereien von der Hinterbank im Verkehrsausschuss.
Mit ihrer Verweigerung bei den Steuern verzichten Sie auf 1,4 Mio. Einnahmen, so der Vorschlag. Geld, das wir dringend für soziale und Infrastrukturausgaben brauchen.
Und was war Ihr Gegenvorschlag? Streichen von einigen 10.000 EUR beim Klimaschutz. Das passt zu routinierten Ablehnung von Windkrafteinnahmen für die Stadtwerke. Sprich: Sie wollen weder die Ressource Geld noch die Ressourcen Klima und Energie schützen. Für mich ist das ein Verweigern von Verantwortung.
Mittlerweile schreiten Sie bei Abstimmungen zu Klimaschutz und Verkehr Seit an Seit mit den Klimawandelleugnern der AfD.
Herzlichen Glückwunsch!
Apropos AfD. Dass Ihre Partei in drei Bundesländern bereits gesichert rechtsextrem ist, wissen wir.
In der Abstimmung zum Nachtragshaushaltzeigen Sie aber nun, wofür sie sonst noch stehen.
Sie enthalten sich bei Hilfen für Menschen mit Behinderung, gegen Projekte der Jugendkultur.
Diese Menschen sind es Ihnen offenbar nicht wert genug. Menschen mit Handicap, die keine ausreichenden Hilfen bekommen sollen.
So etwas wollen wir in Lemgo nicht mehr erleben. – Beifall –
Und damit komme ich zu meinem letzten Thema:
„Wie, wenn ohne Liebe?“
Demokratie stärken
Keine Frage: Der Hass bedroht unsere Demokratie.
Letztes Jahr für die Ukraine, davor in der Pandemie, standen wir demokratischen Parteien in Lemgo zusammen. Leider haben CDU und FDP in Lippe gestern bei der Demonstration für Menschenrechte und Demokratie in Detmold nicht mitgemacht.
Das halte ich für falsch und sogar gefährlich.
Hier in Lippe findet gerade vor unserer Nase eine rechtsextreme Landnahme in Blomberg statt. Das darf uns nicht kalt lassen. Ganz zu schweigen von den drohenden Erfolgen antieuropäischer, oft antidemokratischer und autoritärer Parteien bei der Europawahl. Oder vom Umfragehoch einer gesichert rechtsextremen Partei in drei ostdeutschen Bundesländern.
Bleiben wir auf dem Lemgoer Weg. Schließen wir Bündnisse. Stehen wir zusammen gegen Hass und Hetze. Und suchen wir das Gespräch mit der Bevölkerung – egal welcher Herkunft, Religion, Ethnie, sexueller oder politischer Orientierung.
Wer, wenn nicht wir?
„Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier? Wie, wenn ohne Liebe? Wer, wenn nicht wir?“
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, werte Kolleg:innen,
wir Lemgoer wollen in jeder Hinsicht nachhaltig sein. Nachhaltig für wirtschaftliche Stabilität, nachhaltig für soziale Gerechtigkeit und ökologisches Gleichgewicht, nachhaltig für Menschenrechte und Demokratie.
Nehmen wir also die Verantwortung an. Handeln wir verantwortlich, handeln wir nachhaltig, seien wir aktiv demokratisch.
Ich danke für die Aufmerksamkeit,
Und wünsche allen gute Festtage.