Dr. Burkhard Pohl: Auf lokalen Wegen die Klimaneutralität ansteuern

Hand schreibt "Haushaltsplan" auf Schreibunterlage, darauf Bargeld und ein Taschenrechner - Text siehe Beitragsüberschrift

In seiner Haushaltsrede fordert der Fraktionssprecher lokale Wege zur Klimaneutralität

Liebe Kolleg:innen,

der Haushalt 2023 steht im Blick alter und neuer Krisen.

Wir befinden uns auf dem „Highway to Climate Hell“. So drückte es UNO-Generalsekretär Antonio Guterres aus. Aber diese drastischen Worte sind nötig. 

Allein die Extremwetterereignisse von 2018 bis 2021 haben Klimafolgekosten von 80 Milliarden Euro (IHK 26.9.22) hervorgebracht. Und dabei wird es nicht bleiben, wie wir wissen. Wir wissen aus dem regelmäßigen Budgetbericht von Frau Kugelmann, dass Extremwetter auch für Lemgo ein Risiko sind.

Der Ukrainekrieg zeigt: Die Politik der fossilen Abhängigkeit von Diktaturen und Autokratien ist krachend gescheitert. Die Politik, die die Erneuerbaren Energien behindert hat, ist gegen die Wand gefahren – in Deutschland wie auch hier in Lemgo und Lippe. Mangelnder Rückhalt hat die Stadtwerke daran gehindert, in Lemgo in Windkraft zu investieren, während manche munter Plakate gegen Windkraft ins Schaufenster gehängt haben. Jetzt wären wir froh, wenn Lemgo mehr erneuerbaren Strom selbst produzieren würde. Es wäre ökonomisch sinnvoll, wenn wir als Stadt und mit Bürgergenossenschaften selbst die Einnahmen der Windkraft bekämen. Jetzt ist ein Neustart nötig. 

Unser politisches Handeln trägt Verantwortung im Kleinen, im Großen und für das Ganze: Mit wem wir handeln, mit was wir handeln, welche Standards wir setzen. 

Diese Verantwortung spüre ich seit 2020 häufiger in der Lemgoer Politik. Nicht zuletzt auch im Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz, den zu leiten ich die Ehre habe. Ich danke allen dort Aktiven für den unaufgeregten und konstruktiven Diskurs in diesem Ausschuss.

Wir müssen auch in Lemgo umdenken und die Realitäten beachten:

Das alte Wachstumsmotto „schneller, höher, weiter“ ist vorbei. Es kommt vielmehr darauf an, welche nachhaltigen Ziele und Prioritäten wir uns setzen. Gerade angesichts der drohenden finanziellen Schieflage.

Neue Ziele – neue Maßstäbe

Dieses Bewusstsein einer Zeitenwende für Nachhaltigkeit zeigt sich in den neuen Lemgoer Stadtzielen. Der Lemgoer Rat hat in großer Mehrheit acht neue Stadtziele vereinbart. 

Das Ziel beim Klimaschutz ist deutlich verschärft worden – hin zur Klimaneutralität 2035. 

Neu ist das Ziel der Klimafolgenanpassung. Einwichtiger Fortschritt! Besonders für den Natur- und Artenschutz. Raum zu entwickeln heißt auch, Grünräume und Biodiversität zu stärken und auszubauen. 

Wir Grünen denken dabei auch an das Potenzial der Smart City. Wir wollen innovative Vorhaben, die die Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt nutzt. Und dabei den Klimaschutz sinnvoll unterstützt.

Ich begrüße außerdem das Ziel für die Entwicklung der Ortsteile. Demokratie braucht die Beteiligung der Menschen, und dazu gehören Angebote zur Mitarbeit. Die ersten Versammlungen für Nahwärme und Wohnraum waren bereits gut besucht.

Ich wünsche mir dabei, dass der Rat auch über den Tellerrand schaut: Wenn die Gesundheitsversorgung im Klinikum die Menschen umtreibt, dann darf sich die Stadt Lemgo nicht einfach wegducken und auf fehlende Zuständigkeit verweisen. Da ist auch der Lemgoer Bürgermeister gefragt. Und wenn ein ganzes Dorf wie Lieme sich wegen einer Schießanlage in direkter Ortsnähe sorgt, dann sollte dies auch den Bürgermeister interessieren.

Nun zu den Haushaltsanträgen. 

Ich danke an dieser Stelle der Verwaltung für die konstruktive Zusammenarbeit im vergangenen Jahr und auch während der Beratungen zum Haushalt!

Wir Grünen haben Anträge gestellt, die nach vorne schauen:

Erstens: Lemgo braucht bezahlbaren Wohnraum. Wir Grünen haben einen Weg vorgeschlagen, mit einer eigenen Gesellschaft kommunal zu planen, um die Preisspirale am Markt zu unterbrechen. Einfach zuzuschauen, wie bezahlbares Wohnen unmöglich wird, ist keine Lösung. Diese soziale Maßnahme haben Sie im Rat abgelehnt, der Antrag ist vertagt. 

Aber keine Bange: Wir Grünen werden darauf zurückkommen. Aus Grüner Sicht muss Lemgo beim Bauen künftig neben dem Klimaschutz noch mehr auf soziale Belange schauen. Wir müssen umdenken, wie und was wir in Lemgo noch verantwortlich bauen und sanieren wollen – ob hochpreisig für wenige oder bezahlbar für viele. Wir werden um mehr kommunalen Einfluss und Steuerung nicht herum kommen. 

Wir Grünen sagen auch: Die Klimabilanz muss über eine Investition mitentscheiden. Einfach billig-billig war noch nie gut und ist es weniger denn je. Bei den Beschaffungen werden wir hier nun in die CO2-Bilanzierung einsteigen, soweit technisch darstellbarund das freut mich.

Schließlich die Mitbestimmung der Jugend. Die darf kein Lippenbekenntnis bleiben und muss dauerhaft wirken. Deshalb wollen wir Grünen ein Schüler- und Jugendparlament, das Mitbestimmung von jungen Menschen ernst nimmt und verbindlich macht. Denn um deren Zukunft geht es bei dem, was wir hier Woche für Woche beschließen. Gut, dass die Mehrheit des Rates bereit ist, hier weiter am Thema zu bleiben.

Ein Wort zu den anderen Fraktionen:

Die Kolleg:innen der CDU haben 2022 wie üblich die grünen Anträge abgelehnt. Diese Scheuklappen-Mentalität wirkt aus der Zeit gefallen: Denn die Mehrheit der CDU/Aufbruch C-Fraktion stimmt sogar gegen eine einfache Haushaltsliste von Klimaschutz-Maßnahmen. Teile Ihrer Fraktion bekommen beim Wort Klimaschutz immer noch Schnappatmung. Offenbar möchten Sie den Klimaschutz möglichst unsichtbar machen. Das aber wird Ihnen nicht gelingen.

Kritisch finde ich: Dass Sie in Lemgo verzerrte Falschaussagen verbreiten, wie letzte Woche beim Thema Friedhofskonzept.

Dass man verzerrte Falschmeldungen verbreitet, kannten wir bisher eher von Herrn Merz beim Thema Bürgergeld. Ich weiß nicht, wer bei Ihnen die Pressemitteilungen schreibt. Nun würzen sie auch in Lemgo ihr politisches Süppchen mit bewussten Falschaussagen gegenüber anderen Fraktionen, wie letzte Woche mit einer Presse zur Friedhofsplanung. Ich halte das für schädlich, schädlich für das Miteinander im Rat und schädlich für die demokratische Kultur in Lemgo. Ich möchte Sie dringend auffordern, wieder zu verlässlichen politischen Umgangsformen zurückzufinden. 

Und damit ein paar Worte zur FDP: Da frage ich mich: Hallo?! Wie können Sie weiter stur jedes Windrad in Lemgo oder Lippe ablehnen? In welcher Welt leben Sie? In welchem Jahrzehnt möchten Sie ihre energetischen Wunderwaffen zünden? Noch viel schlimmer ist, dass Sie damit auch dagegen stimmen, dass die Stadtwerke erfolgreich investieren und dringend nötige Einnahmen schaffen, so wie jetzt in Barntrup – und dass dann Unternehmen von außen das Geld mit erneuerbarer Energie verdienen! Wie um alles in der Welt konnten Sie GEGEN das Klimaschutzkonzept stimmen? Und in Teilen sogar gegen die Strategischen Stadtziele? – Ich finde, Sie verweigern sich der Energierealität. Und Sie zeigen wenig Sinn für kommunale Interessen.

Ausblick 2023

Insgesamt aber haben Rat und Verwaltung 2022 einige wichtige Weichen für Lemgo gestellt. Und dazu haben wir Grünen deutlich beigetragen.

Ich möchte im aktuellen Haushalt auf wichtige Vorhaben hinweisen:

1) Schüler*innenticket: Mit unseren politischen Partnern von SPD und BfL, mit esL und Linken haben wir das Ticket beschlossen, mit dem Kinder und Jugendliche staatlicher Schulen frei fahren dürfen. Das ist ein echter Beitrag zur Verkehrswende und zur Mobilität. Ich fand es schade, dass der Bürgermeister sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, zum Glück ohne Erfolg. Lassen Sie uns das Ticket nun zu einem guten Erfolg führen.

2) Neue Priorität für das Stadtgrün: Das Stadtziel Klimafolgen, die Biodiversitätsstrategieund weitere Konzepte zu Starkregen und Ausgleichsflächen stehen im Haushalt. Mit diesen Projekten gibt es mehr Gewicht für Artenschutz und Freiraum. Aber eines gilt dann auch: Die Projekte müssen wir umsetzen, und das geht nur mit genügend Personal. 

3) Lagerplatz bei der SBL – Ziel muss die Wiederverwendung, das Recycling sein. Zero Waste ist noch eine Aufgabe für Lemgo.

4) Ausbau des Offenen Ganztags– Die Verwaltung nimmt den Auftrag ernst und wir dürfen hoffen, dass der Rechtsanspruch für die OGS an den Räumen nicht scheitern wird. Zusammen mit derSPD hatten wir Grünen mit einer Sondersitzung von Schul- und Jugendhilfeausschuss den Prozess mit angestoßen. Gut, dass die Politik sich da einig ist.

5) Erhöhung der Mittel für die Flüchtlingshilfe. Lemgo zeigt weiter Solidarität, und das ist so wichtig: Ukraine, Iran, Afghanistan, Syrien…

Ein letzter Punkt: das Megaprojekt Verkehrswende. Hier hat Lemgo klare Reduktionsziele von 30 % CO2 bis 2030, leider aber noch keine verbindlichen Maßnahmen. Das muss sich schleunigst ändern! Im Frühjahr liegen die Ergebnisse des Bürgerforums vor, die Mobilitätsbefragungen werden ausgewertet. Wir Grünen freuen uns auf gute Ideen aus der Bevölkerung.

Wir wissen: Für emissionsfreien Verkehr reicht ein Antriebswechsel auf E-Mobilität nicht aus – so wichtig der auch in Lemgo ist, und so sehr wir uns auf die öffentlichen Schnellladesäulen freuen. Mehr Sicherheit und Ruhe gibt es mit Tempo 30. Aber auch das reicht noch nicht zur Mobilitätswende.

Lemgo muss den Umstieg auf Rad, Fuß und ÖPNV erleichtern. Hier müssen sich alle noch mehr bewegen, was eh gesund ist. Da geht es um mehr Platz für Fuß- und Radwege, um nötige und nicht mehr nötige Parkplätze in Zeiten von Homeoffice. Es geht um neue Wege in die Ortsteile, per Bus, Bahn und Rad.

Was nicht zur Verkehrswende gehört: Die immer wieder geschürten Debatten um mehr Umgehungsstraßen. Eine Straße, die 5.000 Kfz zusätzlich durch Lemgo fahren lassen soll, als attraktive Autobahnumleitung; eine Straße, die empfindliche Gewässerbereiche durchziehen soll; die auf über 3 km wieder neue Fläche versiegelt. Eine solche Umgehung von Argumenten mag dem ein oder anderen als Wahlkampfkrücke dienen, hat aber mit Verkehrswende nichts zu tun.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleg:innen,

ich komme zum Schluss.

Wir Grünen wollen nicht auf dem Highway zur Klimahölle rasen. Wir wollen für Lemgo mit Ihnen die Richtung wechseln. Wir wollen auf lokalen Wegen die Klimaneutralität ansteuern. Dafür sehen wir im Haushaltsplan wichtige Ansätze.

Deshalb stimmt die Grüne Fraktion dem Haushalt 2023 zu.

Dr. Burkhard Pohl, Fraktionssprecher der Grünen im Lemgoer Rat

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